Info zur Produktgruppe

Definition

Armprothesen sind Körperersatzstücke insbesondere zum funktionellen Ausgleich einer Behinderung nach einer Amputation oder Fehlbildung/Fehlanlage im Bereich der oberen Extremitäten. Sie bilden ein Baukastensystem, welches eine Kombination von individuell gefertigten Komponenten und industriell hergestellten Prothesenkomponenten darstellt.

Dazu zählen innerhalb dieser Produktgruppe die individuellen, maßangefertigten Daumen-, Langfinger- und Teilhandprothesen, Handgelenkexartikulationsprothesen, Unterarmprothesen, Ellenbogengelenkexartikulationsprothesen, Oberarmprothesen und Schultergelenkexartikulationsprothesen, sowie die industriellen, vorgefertigten Prothesenkomponenten: Daumen-, Langfinger-, Hand- und Handgelenkpassteile, Ellenbogengelenkpassteile, Schultergelenkpassteile und Armprothesen-Strukturteile/Zusatz/Zubehör ohne speziellen Anwendungsort.

Die Produktgruppe 38 „Armprothesen“ untergliedert sich in die Bereiche: Anwendungsort, Produktuntergruppe und Produktart. Im Bereich des Anwendungsortes findet eine grundlegende Unterteilung in individuelle, maßangefertigte Prothesenkomponenten und industrielle, vorgefertigte Prothesenkomponenten statt.

In den Produktuntergruppen der individuellen, maßangefertigten Prothesenkomponenten wird weiter nach Konstruktionsmerkmalen differenziert. Dabei wird in die vier Bereiche Habitus-, Eigenkraft-, Fremdkraft- und Hybridpassteile unterteilt. Durch die Leistungspositionen wird die Ausstattung der individuellen, maßangefertigten Prothesenkomponenten individualisiert. Die besonderen Dienstleistungsbestandteile (DLB) dienen der Erläuterung der ggf. erforderlichen weiteren Tätigkeiten zur Anfertigung der jeweiligen Prothese. In den Produktarten wird bei den individuellen, maßangefertigten Prothesenkomponenten nach der Amputationshöhe unterschieden.

In den Produktuntergruppen der industriellen, vorgefertigten Prothesenkomponenten wird in die drei Bereiche Passiv-, Eigenkraft- und Fremdkraftpassteile unterteilt. Eine Ausnahme stellt der Anwendungsort Armprothesen-Strukturteil/Zusatz/Zubehör ohne speziellen Anwendungsort dar.
In den Produktarten der industriellen, vorgefertigten Prothesenkomponenten wird weiter nach Konstruktionsmerkmalen unterteilt, indem auf die funktionellen Aspekte der Passteile und auch auf verschiedene konstruktive Merkmale eingegangen wird.

Die individuellen, maßangefertigten Prothesenkomponenten werden in dieser Produktgruppe beschrieben, wie sie nach dem aktuellen Stand der Technik in der Versorgungspraxis angefertigt werden.

Die dem aktuellen Stand der Technik entsprechenden- und am Markt erhältlichen industriellen, vorgefertigten Prothesenkomponenten (Systembauteile) werden im Hilfsmittelverzeichnis als Einzelprodukte gelistet.

FERTIGUNGSTECHNIKEN
Erfassung der Stumpfgeometrie / Maßabformtechnik:

Als Standardmethode der Formerfassung des Stumpfes gilt der Gipsabdruck. Die Abnahme des Abdrucks (Gipsnegativ) erfolgt durch eine/n erfahrene/n Orthopädietechnikerin
/Orthopädietechniker oder Orthopädietechnikermeisterin/-meister in physiologischer und situationsgerechter Gelenkstellung und Haltung. Durch Ausgießen des Gipsnegatives entsteht ein Gipspositiv und somit eine modellierbare exakte und dreidimensionale physische Form des Armstumpfes. Das final modellierte Gipspositiv stellt die Basis der nachfolgenden Fertigungsschritte, wie die Herstellung der Stumpfbettung (Innenschaft), der formgebenden Hülle (Außenschaft) und der Adaption von Systembauteilen dar.

Alternativ kann die Formerfassung auch über optische Verfahren bspw. mittels 3D-
Messtechnik (3D-Scanner) erfolgen. Diese Methode ist berührungslos und bietet den Vorteil der Reproduzierbarkeit und nachträglichen digitalen Modellierbarkeit und Nachbesserung mittels geeigneter Software. Auf Basis dieser optischen Vermessung und räumlichen Rekonstruktion kann dann über additive Fertigungsverfahren (z.B. im 3D-Druck oder computergestütztes Fräsen (CAD)) die Erstellung eines dreidimensionalen physischen Modells des Armstumpfes erfolgen.

Variationen der Schaftgestaltung:
Die standardmäßige Prothesenkonstruktion besteht aus zwei Schäften – einem Innenschaft und einem Außenschaft. Der Innenschaft umschließt den Stumpf formschlüssig und dient der Stumpfbettung (Aufnahme des Stumpfvolumens, Haftung, Komfort). Er wird aus weichen, elastischen oder flexiblen Materialien gefertigt. Bei myoelektrischen Versorgungen dient er zusätzlich der Aufnahme der Elektroden.
Alternativ kann die Versorgung mit einem (individuellen) Liner erforderlich sein. Hier sind evtl. Unterschiede im Handling (An- und Ablegen der Prothese), die Art der Verbindung / Fixierung mit dem Außenschaft und evtl. Unterschiede in der Wandstärke zu berücksichtigen.
Der Außenschaft wird i.d.R. aus rigiden, teilweise auch teilrigiden Materialien (Gießharz-laminat oder PrePreg) hergestellt. Der Außenschaft besitzt folgende Aufgaben:

Aufnahme und Übertragung von Kräften und Umlenkung zuggesteuerter Bandagen (z.B. Kraftzugbandagen),
Sichere und stabile Verbindung zum Handgelenk- und Handpassteil bzw. sonstigen Greifhilfen,
Wiederherstellung des äußeren Erscheinungsbildes,
bei myoelektrischen Versorgungen: Aufnahme sämtlicher Bauteile und Systempassteile; bei einer individuellen Liner-Anfertigung auch Aufnahme der Elektroden.

Offen-End-Schaft
Bei dieser Schaftvariante werden bestimmte taktile/sensible Bereiche freigelassen, um die Hautoberfläche nicht gegen sensorische Einflüsse und Rückmeldungen abzuschirmen; z.B. bei Dysmelien mit sensiblen und/oder funktionellen Rudimenten (Fingerbeeren) mit Restbeweglichkeit in Gelenken oder einem noch vorhandenen Handgelenk (metacarpale oder transmetacarpale Stümpfe), um die Restbeweglichkeit des Stumpfendes für eine mögliche Greiffunktion (bspw. gegen eine Greifplatte) nutzen zu können.

Vollkontakt-Schaft
Bei dieser Schaftvariante ist der Stumpf vollständig und formschlüssig eingefasst, um Belastungen aufnehmen und Kräfte übertragen zu können. Am Stumpfende ist ein ausreichender Endkontakt zwingend erforderlich, um eine Saugwirkung und dadurch hervorgerufene Ödembildung zu vermeiden. Der Innenschaft muss die Stumpfweichteile formschlüssig umschließen. Das Anlegen erfordert i.d.R. eine Anziehhilfe. Meist wird in diesem Fall, aber insbesondere bei langen Stümpfen, nach Möglichkeit mit einem konfektionierten Liner (Silikon, PU) oder bei medizinischer Erfordernis mit einem maßangefertigten Liner versorgt, um den Vollkontakt zu gewährleisten.
Der Kontakt zum Außenschaft wird über ein Rast-Verschluss-System („Lock-System“) oder einen Gurtverschluss (verbesserte Rotationsstabilität) hergestellt.

Rahmenschaft
Diese Schaftvariante kommt bei komplexen Formvarianten, knöchern sensiblen und langen Stümpfen zum Einsatz, bei denen die Stumpfgegebenheiten keine vollflächige und geschlossene Stumpfbettung zulassen, bzw. die weichen, elastischen oder flexiblen Eigenschaften des Innenschaftes zum Anziehen der Prothese genutzt werden müssen. Die reduzierten Belastungsflächen müssen bei der Schaftgestaltung exakt übertragen und ausgenutzt werden, um empfindliche, nicht belastbare Areale (z.B. knöcherne Vorsprünge, Narben, Meshgraft-Gewebe) zu entlasten und eine optimale Kraftübertrageng gewährleisten zu können. Diese Bereiche können i.d.R. mit einem weichen Innenschaft (z.B. aus Silikon, Thermoplast) belastet werden. Die Randverläufe müssen elastisch oder flexibel gestaltet werden und dürfen nicht einschneiden, um Fensterödeme zu vermeiden.

Vorteile dieser Schaftkonstruktion bestehen in einer Gewichtsreduktion und verbesserten Belüftung des Schaftes (verminderte Schweißneigung).
Diese Schaftkonstruktion kommt v.a. bei Schulterprothesen oder nach Winkelosteomien, Ellbogenexartikulation, aber auch bei longitudinalen Fehlbildungen (z.B. Phokomelie mit Bewegungsfreiheit der Finger) zur Anwendung.

Die individuell hergestellten Prothesen werden unter Einbindung der entsprechenden Passteile und Systembauteile in Schalen- oder Modularbauweise gefertigt. In der Versorgung der distalen Extremitätenabschnitte wird i.d.R. die Kompaktbauweise angewendet.

Schalenbauweise:
Die Armprothese setzt sich aus einem individuell hergestellten Außen-, einem Innenschaft und vorgefertigten Passteilen/Systembauteilen zusammen, die meist aus Hartschaum, Kunststoff oder faserverstärktem Kunststoff bestehen. Die äußere Schale dient der Kraftaufnahme und gleichzeitig der Formgebung. Eine nachträgliche Justierung ist bei dieser Bauweise mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden, weil die einzelnen Passteile durch Sägen etc. voneinander getrennt und erneut verbunden werden müssen.

Modularbauweise:
Die Armprothese besteht aus einem individuell hergestellten Außenschaft, einem Innenschaft und einzelnen, austauschbaren Funktionsteilen (Schulter-, Ellenbogen-, Handgelenk- und Handpassteilen) oder anderen Greifhilfen/-werkzeugen. Die einzelnen Passteile/Systembauteile werden mittels einstellbarer Strukturteile miteinander verbunden. Zur Befestigung zwischen Schaft und distal liegenden Modulen werden spezielle (Gewinde-)Adapter verwendet. Die Modularbauweise erlaubt eine feinere und jederzeit korrigierbare Justierung der verwendeten Elemente.

Zur Wiederherstellung des äußeren Erscheinungsbildes werden die Prothesen in Modularbauweise mit nicht tragenden Elementen, zumeist aus Schaumstoff oder Silikon, verkleidet. In der Modularbauweise erfolgt die Kraftaufnahme durch das Rohrskelettsystem.

Kompaktbauweise:
Die Bauweise der überwiegend distalen Extremitätenabschnitte, die weder aus einer tragenden, äußeren Schale noch mit justierbaren, modularen Komponenten gefertigt werden, wird als „kompakte Bauweise“ bezeichnet. Beispiele für diese Bauweise sind z. B. Fingerprothesen, Teilhandprothesen und Handexartikulationsprothesen.

Prothesenkomponenten / Systembauteile:
Die Passteile bestehen aus verstärkten Kunststoffen wie Faserverbundwerkstoffen, Kunststoffteilen, welche im additiven Fertigungsverfahren (z. B. 3D-Druck) hergestellt werden und/oder aus Metallen wie Stahl, Aluminium, Titan und anderen. Die Hersteller der Passteile/Systembauteile geben die Zweckbestimmung, Indikationen und Kontraindikationen, Anwendungs-, Reinigungs-und Sicherheitshinweise, sowie Kompatibilitätsbestimmungen vor.


BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN UND HINWEISE ZUR VERSORGUNG

Postoperative Versorgung:
Die Anpassung der postoperativen Prothesenversorgung beginnt nach Abschluss der Wundheilung. Für die Anpassung der Prothese muss der Stumpf prothesenfähig sein, ausreichend volumenstabil und mechanisch belastbar sein.

Während des Heilverlaufs ist der Stumpf mit abschwellenden Maßnahmen, wie z. B. einem Liner, Kompressionsarmstrümpfen oder durch fachgerechtes Wickeln, zu behandeln. Darüber hinaus sollte die Arm- und Schultermuskulatur, als auch die wirbelsäulenstabilisierende Muskulatur trainiert werden, um muskulären Dysbalancen vorzubeugen und die Versicherte oder den Versicherten auf das Tragen einer Armprothese vorzubereiten.

Testversorgung und Erprobungsphase:
Die Erforderlichkeit einer Armprothese und die Eignung der Versicherten oder des Versicherten für die konkrete Versorgungsform, ist eine Voraussetzung für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse. Die Versicherte oder der Versicherte muss in der Lage sein, die Prothese - und die sich daraus ergebenden alltagsrelevanten Gebrauchsvorteile - zweckentsprechend nutzen zu können. Dies sollte mithilfe einer ambulanten Erprobungsphase im Alltagsleben und im Wohnumfeld der Versicherten oder des Versicherten ermittelt werden. Die medizinisch notwendige Erprobungsdauer variiert von Einzelfall zu Einzelfall und ist abhängig von

- dem zugrundeliegenden Krankheitsbild,
- den Begleiterkrankungen,
- der Art und Dauer der Vorversorgung,
- den bestehenden Kontextfaktoren.

So benötigen Versicherte ohne Vorversorgung in der Regel eine längere Erprobungsdauer als solche mit langjähriger gleichartiger Vorversorgung. Auch Versicherte mit einer angeborenen Fehlbildung brauchen in der Regel eine längere Erprobung als Arm(teil)amputierte, da sich bei ihnen der gesamte Arm erst an das Prothesengewicht gewöhnen muss und i.d.R. erlernte, manifestierte Bewegungsmuster, sowie der Einsatz des Stumpfes bei Alltagsaktivitäten z.B. als Gegenhalt, abgelegt werden müssen.

Versicherte mit einer angeborenen Fehlbildung unterliegen einem erhöhten Anpassungsbedarf aufgrund besonderer anatomischer Strukturen, besonderer Gelenksituationen und etwaiger vorhandener Rudimente am Stumpf.

Bei Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen sollte eine physio- oder ergotherapeutische Begleitung durch eine/n in dieser Versorgung ausreichend vertrauten und erfahrenen Therapeutin/en in Zusammenarbeit mit einer auf die jeweilige Versorgung entsprechend geschulte/n und zertifizierte/n Orthopädietechnikerin /-techniker bzw. einer entsprechenden Orthopädietechnikermeisterin /-meister empfohlen werden, damit die Versicherten die alltagsrelevanten Gebrauchsvorteile der i.d.R. komplexen individuellen Prothesenversorgung voll ausschöpfen können.

Diagnoseschaft und Testschaft:
Der Diagnoseschaft und/oder der Testschaft dienen der exakten Ermittlung bzw. Anpassung der definitiven Schaftform. Sofern ein Diagnoseschaft zur Versorgung erforderlich ist (i.d.R. bei Erst- oder Umversorgungen), ist dieser im Rahmen des Fertigungsprozesses dem Testschaft oder auch Probeschaft genannt, vorgelagert. Weitere Testschäfte können je nach individueller Versorgungssituation erforderlich sein. Der Diagnoseschaft und weitere Testschäfte setzten immer eine gesonderte Begründung ihrer Notwendigkeit voraus.

Der Diagnoseschaft ist ein transparenter oder transluszenter Schaft zur Passformkontrolle. Er wird auf der Grundlage des Stumpfmodells (physisches Positiv-Modell, z. B. aus Gips) gefertigt. Sein Zweck ist die erste statische Kontrolle und Anpassung an die Stumpfparameter, wie Stumpfform, Stumpfvolumen sowie die erste Definition der Randverläufe.

Der Testschaft ist Bestandteil der Probeprothese, mit der während einer meist mehrwöchigen Erprobung geprüft wird, ob die/der Versicherte im häuslichen Umfeld die Prothese bestimmungsgemäß nutzen kann und von der Versorgung mit diesem Hilfsmittel wesentliche alltagsrelevante Gebrauchsvorteile hat. Der Diagnoseschaft kann als Testschaft verwendet werden, wenn seine mechanische Stabilität für die i. d. R. mehrwöchige Erprobung ausreicht.
Eine Probeprothese besteht aus einem Testschaft (Innen- und Außenschaft) mit sämtlichem, individuellem Zubehör und den geplanten Systembauteilen. Der Innenschaft der Probeprothese sollte bereits aus dem gleichen Material gefertigt sein, welches später auch in der Definitivversorgung eingesetzt werden soll. Auch der Außenschaft sollte in Größe, Form und Materialauswahl bereits möglichst dem Definitivschaft entsprechen, damit sich die Hautverhältnisse und die Muskulatur bereits während der Probephase an die Prothesenversorgung adaptieren können und evtl. Unverträglichkeiten in der Definitivversorgung ausgeschlossen werden können.

Die Fertigung des Innenschaftes der Definitivprothese erfolgt erst nach erfolgreich abgeschlossener Test- und Erprobungsphase. Der Innenschaft kann aus unterschiedlichen Materialien, wie z.B. einem Thermoplast oder Silikon bestehen. Der Außenschaft ist individuell gefertigt und besteht i.d.R. aus Faserverbundwerkstoffen mit Matrix.

Die fertige Definitivprothese setzt sich aus dem (individuell gefertigtem) Innenschaft, dem individuell gefertigtem Außenschaft und den vorgefertigten Systembauteilen zusammen.

Prothesen ohne aktive Eigenbewegung (passive Prothesen):

Habitus-Prothesen:
Habitus-Prothesen dienen der Wiederherstellung der Körperform/des äußeren Erscheinungsbildes und der Verbesserung der passiven Funktion. Zusätzlich dienen sie dem Stumpf als Schutz vor Kälte und Traumata. Habitus-Armprothesen sind für alle Amputationshöhen anwendbar und können in Modular-, Schalen- und Kompaktbauweise gefertigt werden. Sie besitzen keine aktiv beweglichen Elemente und Bauteile.

Prothesen mit aktiver Eigenbewegung (aktive Prothesen):
Diese Prothesen besitzen aktiv bewegliche Elemente und Bauteile und sind auf eine Kraftquelle angewiesen, um eine Funktion auszuüben. Die Steuerung kann direkt durch Eigen- oder indirekt durch Fremdkraft erfolgen.

Eigenkraft-Prothesen:
Bei Eigenkraft-Prothesen wird mindestens eine der Prothesengelenkkomponenten unabhängig von einer fremden Energiequelle über Eigenkraft bewegt. Als Kraftquelle wird eine durch Muskelfunktion ausgelöste Bewegung des Körpers genutzt, um damit eine Funktion in der Prothese zu erzeugen. Durch direkte oder indirekte Kraftquellen werden die aktiven Funktionen an der Prothese ausgelöst.

Fremdkraft-Prothesen:
Bei Fremdkraft-Prothesen wird mindestens eine der Prothesengelenkkomponenten von einer fremden Energiequelle bewegt. Als Energiequelle bei dieser Art der Prothesensteuerung dient ein Akkumulator. Die Steuerung erfolgt dabei durch eine Muskelkontraktion, deren elektromyographische Signale durch eine Elektrode abgegriffen und in Steuerungssignale umgewandelt werden, durch Drucksensoren, die durch bestimmte Bewegungen angesteuert werden, oder durch Schalter aktivierte elektromechanische Komponente. Eingesetzt werden können diese Prothesen bei allen Amputationshöhen.

Hybrid-Prothesen (Mischform aus Eigen- und Fremdkraftprothesen):
Bei einer Hybridprothese ist mindestens eine fremdkraftbetriebene Prothesengelenkkomponente mit mindestens einer eigenkraftbetriebenen Prothesengelenkkomponente kombiniert. Die Kombination mit passiven Prothesengelenkkomponenten ist möglich.


LEISTUNGSRECHTLICHE HINWEISE

Profilerhebungsbogen:
Der als Anlage zur Produktgruppe 38 „Armprothesen“ veröffentlichte Profilerhebungsbogen dient der Feststellung und Erfassung der versorgungsrelevanten Informationen über die Versicherte oder den Versicherten, die Art und den Umfang der Schädigung, ggf. vorhandene zusätzliche Beeinträchtigungen und/oder Erkrankungen sowie etwaige Vorversorgungen. Außerdem werden dadurch die Fähigkeiten der Versicherten oder des Versicherten bewertet und die weiteren mit dem medizinischen Rehabilitationsziel verbundenen Maßnahmen festgehalten. Der Profilerhebungsbogen ist als Anlage zur Produktgruppe 38 „Armprothesen“ veröffentlicht.

Kinder und Jugendliche:
Zur Förderung der Entwicklung können Kleinkinder in der Regel ab ca. dem 8. Lebensmonat mit Habitusprothesen (z.B. „Patschhand“) versorgt werden. Die Versorgung mit myoelektrischen Prothesen erfolgt meist erst ab dem 3. bis 4. Lebensjahr. Motorische oder kognitive Entwicklungen können einen früheren Einsatz begründen. Aufgrund des hohen Eigengewichtes, der Prothesenhandproportionen, der Limitierung der Grifföffnungsweite und der erforderlichen kognitiven Fähigkeiten der Anwenderin oder des Anwenders für die Nutzung der Prothese wird eine Ausstattung mit multiartikulierenden Handsystemen in der Regel erst in den folgenden Lebensjahren möglich.

Die Nutzungsdauer ist bei Armprothesen für Kinder und Jugendliche aufgrund der hohen Beanspruchung und des Wachstums häufig geringer als bei Armprothesen für Erwachsene. Die Passform und die Funktionstauglichkeit sind in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.

Angeborene Fehlbildung/Fehlanlage:
Eine besondere Stellung nehmen die Prothesenversorgungen bei angeborenen Fehlbildungen ein, da sie sich von denen bei traumatischen Amputationen grundsätzlich unterscheiden. Die betroffenen Versicherten haben ein intaktes Körpergefühl, denn die Extremität war nie vollständig entwickelt und es haben nie Teile des Armes gefehlt. Die dysmele Extremität - gleich welcher Ausprägung – besitzt im Vergleich zu jedem kompensatorischen Hilfsmittel in der Regel eine Oberflächensensibilität. Eine Armprothese wird von diesen Versicherten daher nur bei einem spürbaren funktionellen Zugewinn im Alltag oder einer ästhetischen Wiederherstellung des Armes akzeptiert. Erfolg und Misserfolg hängen von vielen individuellen Faktoren ab wie

- der Stumpflänge,
- der Stumpfbeschaffenheit,
- den motorischen Fähigkeiten,
- den mentalen Fähigkeiten,
- der Motivation,
- dem familiären Umfeld,
- der Qualität der Gebrauchsschulung u. a.

Diese Faktoren sind bei der Indikationsstellung zur Prothesenversorgung zu berücksichtigen.

Reparatur:
Die Versorgung mit einer neuen Prothese bzw. einer neuen Prothesenkomponente nach Verschleiß der bisher verwendeten Prothese bzw. Prothesenkomponente kommt nur in Betracht, wenn eine Reparatur nicht mehr möglich oder unwirtschaftlich ist.

Umversorgung:
Der Ersatz einer Armprothese durch ein technisch verbessertes Prothesensystem kommt nur in Betracht, wenn diese Gebrauchsvorteile beim Behinderungsausgleich im Alltagsleben bietet und die Versicherte oder der Versicherte in der Lage ist, diese alltagsrelevanten Gebrauchsvorteile zu nutzen.

Mehrfachausstattung / Doppelversorgung:
Die Prothesenversorgung erfolgt in der Regel in einfacher Stückzahl. Eine zusätzliche Armprothese (Mehrfachausstattung) kann im begründeten Einzelfall erforderlich sein, wenn die Versicherte oder der Versicherte aufgrund der Gesamtbehinderung eine Eigenkraft-, Fremdkraft- oder Hybridprothese nicht ganztägig oder nicht jeden Tag tragen kann. Bei einer Mehrfachausstattung bzw. Doppel- oder Zweitversorgung handelt es sich um eine Versorgung mit einer typen- bzw. funktionsgleichen Armprothese.

Zusatzversorgung mit einer nicht typen- bzw. nicht funktionsgleichen Prothese:
Im begründeten Einzelfall kann die Versorgung mit einer zusätzlichen zweiten, nicht typengleichen- bzw. funktionell andersartigen Prothese medizinisch erforderlich sein. Zum Beispiel, wenn eine Versicherte/ ein Versicherter mit einer Fremdkraftprothese ausgestattet ist, diese aufgrund der Stumpfbeschaffenheit und/oder des Prothesengewichts jedoch nicht den ganzen Tag tragen kann. Dann kann sie/er mit einer zusätzlichen Habitusprothese ausgestattet werden.

Bei besonderen Kontextfaktoren kann im Einzelfall eine zusätzliche wasserfeste Armprothese Leistung der gesetzlichen Krankenkasse sein.

Prothesenverkleidung und optischer Ausgleich:
Bestandteil der Prothesenversorgung ist auch die äußere Formgebung und funktionsgerechte Gestaltung der Armprothese zur Wiederherstellung des äußeren Erscheinungsbildes. Die Erfüllung besonderer kosmetischer Ansprüche, wie z. B. die Berücksichtigung von Tattoos, Adern, Haare o.ä., fällt nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, da sie das Maß des Notwendigen überschreitet und somit dem Eigenverantwortungsbereich der Versicherten oder des Versicherten zuzuordnen ist. Die Prothesenverkleidung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist so zu gestalten, dass für einen unbefangenen Dritten nicht direkt erkennbar ist, dass eine Prothese getragen wird.

Rehabilitationsmaßnahme:
Nimmt die Versicherte oder der Versicherte zur Wiedererlangung der Greif- und Haltefähigkeit an einer Rehabilitationsmaßnahme teil, sollte sichergestellt sein, dass sie oder er vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme mit einer Testprothese ausgestattet ist, da ohne die Versorgung mit einer funktionsfähigen und passgerechten Prothese eine sinnvolle und effektive Rehabilitation nicht möglich ist.

Passform:
Der Leistungserbringer übernimmt in der Regel bei Erst- und Folgeversorgungen eine Passformgarantie.

Reinigung und Pflege:
Der Prothesenschaft sollte mit haushaltsüblichen Mitteln zu reinigen sein. Dabei sind die Herstellerangaben und diagnostizierte Allergien zu berücksichtigen.


Querverweise:
Nicht besetzt

Änderungsdatum: 27.09.2023

Indikation

Armprothesen können erforderlich sein bei teilweisem oder vollständigem Fehlen eines Armes oder beider Arme mit resultierender wesentlicher Einschränkung der Funktionen, z. B. „Greifen“. Als Ursache kommen insbesondere folgende Schädigungen/Störungen infrage:

- Angeborene Fehlbildungen (Amelie, Phokomelie, Peromelie, Dysmelie u. a.)
- Traumata
- Bösartige Erkrankungen (Chondrosarkom, Ewing-Sarkom u. a.)
- Entzündliche Erkrankungen (Osteitis, Tuberkulose u. a.)
- Arterielle, venöse oder lymphatische Zirkulationsstörungen
- Neuropathien (diab. Neuro-Osteo-Arthropathie, Poliomyelitis u. a.)

Ein Anspruch auf die Versorgung mit einer Armprothese besteht auch, wenn das Fehlen von
Teilen des Armes zu einer Entstellung führt, die so ausgeprägt ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen, quasi im Vorbeigehen, bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses Anderer auf die Betroffene oder den Betroffenen führt.

Bei der Indikationsstellung zur Versorgung sind alle relevanten Informationen heranzuziehen.

Unter Gesamtbetrachtung

- der funktionellen/strukturellen Schädigungen,
- der Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen),
- der noch verbliebenen Aktivitäten und
- einer störungsbildabhängigen Diagnostik

sind

1) das Ziel der Prothesenversorgung,
2) der Bedarf,
3) die Fähigkeit zur Nutzung und
4) die Prognose

auf der Grundlage realistischer, für die Versicherte oder den Versicherten alltagsrelevanter Anforderungen zu ermitteln („Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“/„International Classification of Functioning, Disability and Health“ - ICF).

Dabei sind insbesondere Mobilität und Kontextfaktoren (z. B. der Pflegegrad) zu berücksichtigen. Bei der Entscheidung über die im Einzelfall erforderliche und angemessene Prothesenversorgung ist somit zu prüfen, welche konkrete Versorgung für die individuellen Verhältnisse der Versicherten oder des Versicherten geeignet und zweckmäßig ist.


Änderungsdatum: 27.09.2023

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